Tango
So nannte ihn seine liebevolle Pflegemutter und der Name war Programm. Tango war unser Ferienhund, er gehörte zu der Gemüsegärtnerei, deren Eigentümer uns eine sehr nette Ferienwohnung vermietete. Claude und Monique sind freundliche Leute, die jedem Lebewesen Unterschlupf gewähren und kein zugelaufenes Tier wird abgewiesen.
Tango faßte sehr schnell Vertrauen zu uns und erhielt im Gegenzug unsere ganze Liebe. Er war ein kleiner Macho und überzeugt, immer und überall der Herr zu sein. Allerdings: er wußte so viel nicht, das einem Hund gewöhnlich ganz natürlich ist. Ein Spaziergang mit ihm war anfangs ein Abenteuer: er legte sich förmlich in die Leine und zog sein menschliches Opfer gnadenlos hinter sich her. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihm klargemacht hatte, daß man nicht nur mit vollem Tempo rennt, sondern auch mal seine Umgebung wahrnimmt und unterwegs "Briefchen liest" und Spuren erschnuppert. Wir vermuteten, daß die Gäste ihn meist auf ihre Radrunden mitnahmen und er mit dem Fahrrad mitrannte. Da blieb keine Zeit für "hundgerechtes" Verhalten. Bei uns lernte er das. Seine ganze Seele gewann ich, als ich für ihn Wasser schöpfte und ihn aus meiner Hand trinken ließ. Von da an hatten wir immer ein Gefäß mit, um ihn mit Wasser zu versorgen.
Tango liebte unsere Gesellschaft und konnte nie genug kriegen vom Spiel. Er war unermüdlich, im Gegensatz zu uns. Die Marokkaner, die Claude in seinem Betrieb beschäftigte, waren sehr amüsiert und der Jüngere der Beiden wurde sogar angesteckt und spielte ganz kurz mit Tango, wenn er glaubte, daß es keiner sah.
Tango war ein liebevoller Hund. Er war von uns nicht zu trennen, wenn wir "daheim" waren. Abends nach Sonnenuntergang änderte sich das allerdings: dann hatte er einen "Job": er mußte die Füchse aus der Gärtnerei vertreiben. Unermüdlich drehte er seine Runden an den Reviergrenzen und warf uns im Vorbeisausen nur einen sehr geschäftsmäßigen Blick zu: "Sorry, ich bin beschäftigt".
Trotzdem verbrachte er einmal die ganze erste Nacht unseres Aufenthaltes am Fuß der Treppe zu unserem Schlafzimmer - nur um sicherzugehen, daß wir nicht gleich wieder abreisten.
Er wollte auch auf unsere Ausflüge mitgenommen werden, was nicht immer möglich war. Eines Tages sah er uns abfahren und rannte wie ein Verrückter hinter uns her - und das auf einer stark und schnell befahrenen Straße. Natürlich hielten wir sofort an und ließen ihn einsteigen, das Risiko war einfach zu groß. Da war er glücklich! Er saß aufrecht auf der Rückbank und guckte zwischen uns durch auf die Straße. Das hatte auch seine Nachteile: eines Tages querte ein Wildschwein unseren Weg und Tango war schon auf dem Sprung nach vorn ... er brach mir fast den Arm, als ich ihn zurückhielt. Ja, der Jagdtrieb war sehr ausgeprägt und schwer zu bändigen. Auf unseren Abendspaziergängen entdeckten wir sehr schnell, daß wir Tango besser von anderen Rüden fernhielten, er war kaum zu halten, wenn er einen vermeintlichen Rivalen sah. Doch lernte er schnell - manchmal hing die Leine sogar durch und vor dem Queren einer Straße hielt er sich bald brav an meiner linken Seite und wartete, bis wir die andere Straßenseite erreichten.
Die Küche war sein Favorit, speziell der Platz vor dem Kühlschrank. Da kamen nämlich die wunderbaren Sachen raus, die wir auf dem Tisch in unserem Hof aufstellten und die seiner Nase soooo gut taten! Und erst das Kochen! Alles roch einfach himmlisch! Sobald die ersten Teller auf dem Tisch standen, war Tango in seinem Element: er hopste auf die Bank und harrte dort geduldig der köstlichen Dinge. Es fehlte nur das Lätzchen ... Aber er suchte nie, etwas vom Tisch zu stehlen. Hm - auch Unarten brachte ich ihm bei - zum Beispiel das Auslecken von Schüsseln und Tellern. In Ermangelung eines Futternapfes servierte ich ihm seine Leckerbissen in den gewöhnlichen Gefäßen und wusch diese dann gründlich ab, ehe ich sie in den Geschirrspüler steckte.
Unsere Abreise machte ihn todunglücklich - und uns auch. Monique bot uns an, ihn mitzunehmen, doch einen solchen Hund kann man nicht in der Stadt in einer Wohnung halten - er wäre da krank und elend geworden. So mußten wir ihn bei seinen Leuten lassen und wir sahen uns erst im nächsten Jahr, im nächsten Urlaub.
Eines Tages erreichte uns ein Brief von Monique - Tango war in den Hundehimmel gegangen, nach einem - zumindest in den letzten 10 Jahren - erfüllten Hundeleben. Die Nachricht traf uns hart, doch diese Zeilen beweisen, daß unser Macho nicht vergessen ist.
Tango, ich hoffe, du genießt auch dort, wo du jetzt bist, die totale Freiheit und Liebe!