Lady
Lady (von Meyersheim) stammte aus einem niederösterreichischen Zwinger. Sie reiste mit dem Zug von Wien nach Graz und wurde dort von meiner Mutter in Empfang genommen - zur großen Überraschung kam auch ihre Schwester mit (diese war einer Industriellenfrau versprochen, aber die Züchterin wollte dieser hysterischen Frau keinen Hund anvertrauen, also war auf einmal ein Schwesternpaar auf vier Pfoten auf der Reise zu uns). Die beiden Hundebabies waren die Attraktion im Autobus zu uns und wir staunten nicht schlecht, als Mutti mit je einem Hund unter dem Arm auftauchte. Sie wurden auch sofort von Troll, dem Münsterländer eines unserer Nachbarn, begutachtet und willkommen geheißen. So zogen Lys und Lady bei uns ein.
Sie waren Schwestern, konnten aber nicht unterschiedlicher sein. Lady war uns sofort sehr zugetan und ein bißchen naiv. Lys war etwas kleiner, flink und sehr raffiniert. Alle Streiche, die sie uns und den Nachbarn spielten, gingen auf Lys' Konto, aber die konnte es immer so einrichten, daß Lady ertappt und bestraft wurde. Das ging so lange gut, bis meine Mutter die Unternehmung einmal von Anfang an beobachtet und mit der Anstifterin abrechnete, nicht mit der Mitläuferin. Das verblüffte Lys so, daß lange Zeit Ruhe war und sie ihre Tricks (jedenfalls diesbezüglich) aufgabe.
Lys war etwa anderthalb Jahre bei uns, bis eines Tages ihre Züchterin und deren Mann bei uns auftauchten und meine Eltern baten, ihnen einen der beiden Hunde zurückzugeben. "Wohlwollende" Nachbarn hatten ihre Zuchthündin vergiftet und sie brauchten Ersatz. Meine Eltern stimmten zu unter der Voraussetzung, daß der Hund freiwillig mit ihnen ginge. Als wir nach ihnen riefen, erschien nur Lys, Lady war unauffindbar. Lys ging auch ohne Umstände mit, Lady tauchte erst auf, als der Wagen der Züchter abgefahren war.
Lady war ein wunderschöner Hund, vollkommen in Körperbau und Farbe und im Charakter. Sie war ein gutmütiger, aber überaus wachsamer Hund und vertrat, als sie ausgewachsen war, eine Art Mutterstelle an meinem Bruder und mir. Gerieten mein Bruder und ich in Streit, schob sie sich zwischen uns und sorgte für De-Eskalation. Und wehe, mein Bruder erhob die Hand gegen mich: dann schubste sie ihn mit ihrer Schulter und plumps! saß er auf dem Boden. Streit vertrug sie absolut nicht.
Vor unserer Wohnung lag ein großer Hof mit einem Treppenaufgang zur Gasse, sie ziemlich steil anstieg, lag unser Heim doch am Fuße des Schloßberges. Überschattet wurde der Hof von einer uralten, mächtigen Weinlaube, die jedes Jahr unglaublich viele Trauben trug. Unser Hof war gegen die Gasse durch einen Maschendrahtzaun mit einem festen Tor ohne Außenklinke abgeschlossen. So sollte verhindert werden, daß Unbefugte einfach hereinkamen, wie gesagt, Lady war sehr wachsam.
Eines Tages im Herbst, die Trauben waren reif, stand Lady vor der Küchentür und grollte ganz leise, tief aus der Brust. Ich schaute, was los war, und durch die Scheiben der Türen in den Hof konnte ich zwei junge Männer sehen, die ganz einfach eingebrochen waren und sich an den Trauben gütlich taten. Ich öffnete die Türen und mit einem Sprung war Lady bei dem vorderen der Beiden, warf ihn auf den Rücken und stellte sich über ihn, die Arme mit den Vorderpfoten fixiert und die Zähne an seiner Kehle. Der Zweite stand zum Glück wie versteinert vor Schreck und rührte sich nicht. Ich war restlos erschrocken und rief den Hund zurück - sie kam auch sofort und stellte sich, total gespannt und bereit zum Sprung, neben mein linkes Knie - eine Aktion wie aus dem Bilderbuch. Ich winkte den beiden Kerlen zu verschwinden und sie rannten wie verrückt, solange ich sie sehen konnte. Natürlich lobte ich unser Mädchen über alles und genauso tat meine Mutter, als sie heimkam.
Dazu ist zu sagen: damals wurden Airedale-Terrier von der österreichischen Polizei als Einsatzhunde geschult und verwendet und es scheint, als hätte sich da etwas über die Generationen vererbt. Denn auf dem Abrichteplatz war Lady nicht dazu zu bewegen, die Schutzübungen mit dem Abrichter durchzuführen: der war doch ihr Freund und der Freund der Familie, warum sollte sie ihn angreifen? So hätte sie die Schutzhundeprüfung nie abgelegt, wenn nicht ein Prüfer selbst den Angreifer gespielt hätte. Aber als sie mich schützen mußte, legte sie eine Aktion hin, die jedem Polizeihund Ehre gemacht hätte, obwohl sie das nicht gelernt hatte. Meine Eltern vertrauten ihr auch blind und wir Kinder durften überall hin, solange wir Lady mithatten.
Lady nahm jedes Geschöpf an, das wir ihr zuführten, und kümmerte sich liebevoll darum. Ob es sich um unsere Schildkröte handelte oder um meinen Chinchilla oder was auch immer - sie war eine liebevolle Aufpasserin und Beschützerin. Für uns war sie ein Familienmitglied, erst mütterlich und dann, als wir herangewachsen waren, schwesterlich.
Wie gesagt, sie war ein schöner Hund, und ihre Züchterin überredete meine Eltern, mit ihr zu Ausstellungen zu gehen, denn das war gut für die Bewertung der Zucht. Sie räumte auch tatsächlich alle Preise ab, die Richter waren grundsätzlich begeistert von ihr. Und wir hatten unseren Spaß: sie hatte die Gewohnheit, wenn man langsam mit ihr ging, alles hängen zu lassen, Ohren, Schwanz, Kopf ... ein trübsinniges Bild. Aber wehe, sie hörte einen Kameraverschluß klicken! Dann verwandelte sich das trübsinnige Elend in einen edlen Lipizzaner: Kopf hoch, Ohren aufgestellt, Schwanz aufgerichtet und sie trippelte dahin wie ein Star der Manege. Sie wußte genau, was sie ich schuldig war!
Lady hatte Freunde und Verehrer. Das hatte nichts mit Läufigkeit zu tun, sie waren ganz einfach Freunde und besuchten sie auch täglich. Da war natürlich Troll, der Nachbar, dann "Hatschi", der Rottweiler des Tischlers und noch andere. Hatschi wollte immer spielen und war unersättlich. Sie zeigte ihm deutlich, wenn sie genug hatte, aber er wollte nicht verstehen. Das Problem löste sie ganz einfach: wenn er wieder anrannte, schob sie eine Schulter vor und ließ ihn darüberpurzeln. Er überschlug sich und nachdem er wieder gelandet war, schüttelte er seinen Kopf und hatte - endlich - verstanden.
Eine gute Bekannte meiner Mutter, die mit ihrem Riesenschnauzer gelegentlich zu Besuch kam, beobachtete diese Szene und sagte dann:
"Sind Sie böse wenn ich sage, daß Ihre Lady ein bißchen kokett ist?"
Meine Mutter lachte und antwortete: "Ein bißchen???"
Lady war ein sehr selbstbewußtes Frauenzimmer!
Als ich 18 war, erkrankte Lady schwer - wie üblich, Krebs - und mußte erlöst werden. Es brauchte drei Injektionen, bis sie endlich einschlief, sie konnte sich nicht von uns trennen. Das war für mich, als hätte ich eine Schwester verloren - ich bin jetzt 77 Jahre alt und der Schmerz hat nicht nachgelassen.
Lady, du warst besonders - ein ganz besondere Persönlichkeit und die beste Freundin - ja, Schwester! - die man haben konnte. Danke.